Augstmatthorn / Suggiture

Wer kennt sie nicht, die Instagram Hotspots in seiner Nähe? Täglich werden wir mit epischen Bildern von schroffen Berggipfeln, tiefblauen Seen und wunderschönen Wiesen konfrontiert.  Ein solcher Spot ist das Augstmatthorn am Brienzergrat im Berner Oberland. 

Das will ich sehen und selbst einmal oben stehen. Da ich damit rechne, dass ich an diesem schönen Sonntagmorgen nicht als einziger diese Idee habe, treffe ich nach einer stündigen Fahrt, um 05.30 Uhr an meinem Ausgangspunkt ein. Etliche Autos besetzen bereits den Parkplatz. Etwas abseits finde ich noch einen Platz. Ich packe meinen Rucksack und binde das Stativ hinten drauf. Es ist noch dunkeln und von weitem hört man laut und deutlich die Brunftrufe der Hirsche in den Wäldern. 

Den ganzen Berg hoch zieht sich eine Linie von Stirnlampenlichtern. Da wollen wohl einige den Sonnenaufgang erwischen. Also mache auch ich mich auf den Weg und beginne meinen Aufstieg durchs Dunkle. Bei der ersten Weggabelung wählen einige Wanderer einen alternativen Weg um das Horn von der anderen Seite zu besteigen. So bin ich dann plötzlich doch ganz alleine am Berg und geniesse die Ruhe. Es windet heftig und der Weg über die mit Gras bewachsene Flanke ist richtig steil. Es gefällt mir ausserordentlich gut hier und ich kann langsam verstehen, wieso ich mit meiner Meinung nicht alleine bin und das Augstmatthorn so viele Leute anzieht. Das liegt sicherlich auch daran, dass man in relativ kurzer Zeit auf den Grat gelangen kann. Etwas Kondition ist aber schon gefragt. Es wird zunehmend steiler und schon bald kann ich den Gipfel erkennen. 

Oben angekommen eröffnet sich mir ein wunderschönes Panorama auf die Berger Alpen und auf den Brienzersee. Die Sonne ist eben aufgegangen. Da sich auf dem eigentliche Gipfel bereits einige Personen tummeln, entscheide ich mich auf dem Grat weiter auf den angrenzenden Suggiture weiterzugehen. Hier kommt richtiges Gratwanderfeeling auf. Der Pfad ist schmal. Auf beiden Seiten fallen die Bergflanken viele hundert Meter talwärts. Kritisch ist es nur an wenigen Stellen. Über mindestens elementare Kenntnisse im Bergwandern muss man aber verfügen und Höhenangst darf man keine haben. Ansonsten ist man falsch hier oben. 

 

Auf dem Grat zwischen den beiden Gipfeln setze ich mich ins Gras, geniesse einen heissen Kaffee aus meiner Thermoskanne und staune über die Natur. Dieser Fleck ist einfach wunderschön. Das ist wohl Fluch und Segen zugleich. Vor wenigen Jahren hat ausserhalb des Berner Oberlands kaum jemand das Augstmatthorn gekannt. Wie bei so manchem andern Ort hat die enorme Reichweite von unter anderem Instagram dazu geführt, dass sich das rasch geändert hat und nun viele Menschen aus der ganzen Welt dahin reisen. Solange es nicht zu viel wird, die Natur nicht leidet, die Besucher sich entsprechend benehmen, ihren Abfall wieder mit ins Tal nehmen und die Flora und Fauna akzeptieren, profitieren einige von dieser kostenlosen Werbung. Für Fotografen dienen Posts von solchen Orten als Inspiration. Ich habe mich also davon verführen lassen und bin an einem solchen Instagram Spot gelandet.  

Die spätherbstliche Sonne steht tief am Himmel. Durch die hochragenden Gipfel trifft das erste Licht auf die Talsohle. Ein leichter Dunst macht die einfallenden Sonnenstrahlen herrlich sichtbar. Die Stimmung ist fantastisch und ich geniesse das Fotografieren ausgiebig, bevor ich mich an den Abstieg wage. 

Ich hoffe während des runter wandern auf die berühmte Steinbockkolonie zu treffen. Leider habe ich kein Glück und die Tiere zeigen sich nicht. So steige ich weiter ab und begegne schon bald etlichen Wandergruppen welche sich am Berg tummeln. Der Parkplatz an meinem Ausgangs- und Endpunkt ist unterdessen komplett belegt. Alle wollen die letzten warmen Herbsttage in den Bergen geniessen. Das bestärkt mich in meiner Idee und Bestreben, dass es sich lohnt früh morgens bei Tagesanbruch los zu marschieren. Der Tourismus in den Bergen hat in den letzten Jahren massiv zugenommen. Aber nur weniger überwinden sich mitten in der Nacht aus dem Bett zu kriechen und früh am Berg zu stehen. Für mich lohnt sich diese Überwindung. Alleine im Dunkeln zu gehen, das Tageserwachen zu erleben und dabei die Ruhe und Stille zu erleben, faszinieren mich immer wieder aufs Neue und inspirieren mich unheimlich. Hier spüre ich die Elemente und meinen Körper. Ich fühle mich lebendig. 

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